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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.08.2000
Aktenzeichen: 20 U 26/00
Rechtsgebiete: VVG, AHB


Vorschriften:

VVG § 152
AHB § 4 II 1
Leitsatz

§§ 152 VVG, 4 II 1 AHB

1)

Umfangreiche Würdigung, ob Vorsatz festzustellen. (im Ergebnis verneint).

2)

Bei einer mehraktigen Handlung braucht der Versicherer für den Anteil eines rechtskräftig zuerkannten Schmerzensgeldes, der auf Verletzungen bei vorsätzlich begangenen Teilakten zurückzuführen ist (§ 287 ZPO), nicht einzustehen.

3)

Ob das auch für eine einaktige Handlung möglich ist, bleibt offen.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 26/00 OLG Hamm 8 O 131/99 LG Hagen

Verkündet am 18. August 2000

Lammers, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann und die Richter am Oberlandesgericht Rüther und Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. November 1999 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Februar 1997 sowie weitere 547,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23. April 1999 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 13 % der Kläger und zu 87 % die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger als Geschädigter einer tätlichen Auseinandersetzung macht im vorliegenden Rechtsstreit den Deckungsanspruch des Schädigers gegen dessen private Haftpflichtversicherung geltend. Er hat gegen den Kläger ein Urteil erstritten, in welchem dieser verurteilt worden ist, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 35.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18.02.1997 zu zahlen. Das Urteil ist rechtskräftig, nachdem der 6. Senat des Oberlandesgerichts Hamm die Berufung des damaligen Beklagten mit Urteil vom 01.10.1998 als unbegründet zurückgewiesen hat. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gegen den Schädiger hat der Kläger dessen Deckungsanspruch gegen die Beklagte gepfändet und sich überweisen lassen. Daraus begehrt er jetzt Zahlung von 34.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18.02.1997 sowie weitere 547,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22.04.1999. Bei dem Betrag von 547,22 DM handelt es sich um Kosten der Zwangsvollstreckung. Bei dem Betrag von 34.500,00 DM handelt es sich um den weitaus überwiegenden Teil des zuerkannten Schmerzensgeldes. Soweit rechtskräftig feststehe, daß der Geschädigte ihm auch zumindest einen vorsätzlichen Faustschlag versetzt und deshalb auch dessen typische Folgen vorsätzlich herbeigeführt habe, sieht er die beklagte Versicherung in dieser Höhe ihrem Versicherungsnehmer gegenüber als leistungsfrei an. Hinsichtlich der weiteren Verletzungen, mit denen das Schmerzensgeld im wesentlichen begründet sei, habe der Versicherungsnehmer aber nicht vorsätzlich gehandelt.

Das Landgericht ist nach Durchführung einer Beweisaufnahme - Vernehmung einer Zeugin, die einen Teil des Tatgeschehens beobachtet hatte - der Argumentation des Klägers gefolgt und hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an den Kläger 34.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08.02.1997 sowie weitere 547,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 23.04.1999 zu zahlen.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit welcher sie abändernd Klageabweisung erstrebt. Sie ist der Ansicht, aus den Gründen des rechtskräftigen Urteils im vorangegangenen Haftungsprozeß ergebe sich, daß der Versicherungsnehmer den Kläger auch vorsätzlich getreten und eine mehrstufige Treppe heruntergestoßen habe. Daß der Kläger sich bei diesem Treppensturz weitere Verletzungen, u.a. eine Schädelprellung, Prellungen und Blutergüsse am ganzen Körper, eine aufgeplatzte Augenbraue sowie insbesondere einen schwerwiegenden, zweifachen Bruch des rechten Sprunggelenkes zugezogen habe, seien naheliegende, wenn nicht typische Folgen des Treppensturzes, die vom Versicherungsnehmer zumindest mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt worden seien. Dasselbe gelte für die Komplikation des bis dahin unerkannt an Diabetes mellitus erkrankten Klägers. Auch aus dem Nachtatverhalten des Versicherungsnehmers, den die Verletzung des Klägers keinesfalls gereut habe, sondern der ihm noch auf die Straße gefolgt sei und dort weiter mißhandelt habe, lasse sich auf eine vorsätzliche Herbeiführung der Verletzungen schließen. Schließlich ist sie der Ansicht, daß ein Abzug von 500,00 DM für den jedenfalls feststehenden Faustschlag zu gering bemessen sei.

Das Rechtsmittel hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Die Klage ist im wesentlichen begründet.

In tatrechtlicher und rechtlicher Hinsicht ist zwischen den Parteien in erster Linie die Frage streitig, ob die Beklagte gegenüber dem Kläger gemäß § 152 WG, 4 II Nr. 1 AHB leistungsfrei ist, weil der Versicherungsnehmer den Schaden vorsätzlich herbeigeführt habe. Es entspricht insoweit einhelliger Auffassung, daß Leistungsfreiheit nur dann eintritt, wenn der Vorsatz des Schädigers die Schadensfolgen mitumfaßt (Nachweise bei Prölss-Voit, Rdn. 82 zu § 4 AHB). Der Versicherungsnehmer muß den Erfolg als möglich vorausgesehen und für den Fall seines Eintritts gebilligt haben, wobei es allerdings nicht erforderlich ist, daß der Täter die Folgen der Tat in allen Einzelheiten voraussieht. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Vorsatzes trifft den Versicherer, der sich auf Leistungsfreiheit beruft. Dabei haben entsprechende Feststellungen über das Vorliegen bzw. das Nichtvorliegen des Vorsatzes aus einem vorangegangenen Haftungsprozeß Bindungswirkung.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind im vorangegangenen Haftungsprozeß entsprechende Feststellungen nicht getroffen worden. Das Berufungsgericht führt aus, daß es unstreitig sei, daß der Versicherungsnehmer - der dortige Beklagte - dem Kläger in seiner Wohnung einen Faustschlag versetzt habe. Hinsichtlich des nachfolgenden Treppensturzes differenziert das Berufungsgericht. Diesen habe der damalige Beklagte zwar verschuldet. Der Hergang des Ereignisses sei aber nicht in allen Einzelheiten aufgeklärt worden und einer weiteren Aufklärung auch nicht mehr zugänglich. Unmittelbare Tatzeugen gebe es nicht. Es stehe lediglich fest, weil unstreitig, daß die Tätlichkeiten bereits in der Wohnung des Beklagten begonnen hätten. Was danach im Hausflur und auf der Treppe geschehen sei, habe keiner der Zeugen unmittelbar wahrgenommen. Aufgrund der Aussage der Zeugin stehe lediglich fest, daß der Kläger aus der Haustür gestoßen und getreten worden sei, bevor er schwerverletzt nach Hause gekrochen sei. Im übrigen sei der Senat überzeugt davon, daß die spontane Darstellung des Klägers, daß also der Beklagte ihn nach dem Verlassen der Wohnung noch im Treppenhaus weiter mißhandelt habe, jedenfalls im Kern richtig sei. Im weiteren führt das Berufungsgericht dazu aus, daß letztlich ungeklärt sei, wie es im einzelnen zu den schweren Verletzungen des Klägers gekommen sei, inwieweit also insbesondere der folgenschwere Sprunggelenksbruch auf Fußtritt des Beklagten oder auf einen Treppensturz zurückzuführen sei, weshalb nicht festgestellt werden könne, daß der Beklagte derartige Verletzungen des Klägers beabsichtigt habe. Das Schmerzensgeld von 35.000,00 DM sei aber auch bei fahrlässiger Herbeiführung der schweren Verletzungsfolgen tat- und schuldangemessen.

Das Berufungsgericht hat nach den vorstehenden Ausführungen also festgestellt, daß der Versicherungsnehmer dem Kläger in der Wohnung vorsätzlich einen Faustschlag versetzt hat und ihn später auf die Straße gestoßen und getreten hat. Hinsichtlich des Geschehensablaufs im Treppenhaus, wo der Kläger sich folgenschwere Verletzungen zugezogen haben kann, hat das Berufungsgericht den Geschehensablauf im einzelnen bewußt offengelassen. Auch soweit das Berufungsgericht keinen Zweifel daran hatte, daß die Darstellung des Klägers "im Kern" richtig sei, liegt darin nicht die Feststellung, daß der damalige Beklagte den Kläger bewußt die Treppe heruntergestoßen hat. Das Berufungsgericht hat den "Kern" der Darstellung des Klägers im zweiten Halbsatz dahingehend konkretisiert, daß es darunter die weiteren Mißhandlungen im Treppenhaus versteht und deshalb nicht, wie sich der Kläger den doppelten Sprunggelenkbruch zugezogen hat. Bessere Feststellungen sind auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht möglich, insbesondere nicht durch Vernehmung der Zeuginnen M und K. Die Zeugin M ist durch das erstinstanzlich tätige Landgericht vernommen worden. Sie hat bekundet, daß sie keine konkretere Erinnerung mehr an das Geschehen habe, sie bereits dem Berufungsgericht im Haftungsprozeß geschildert habe. Dort hatte sie nur zum Geschehen außerhalb des Hauses Angaben machen können. Dazu hatte das Berufungsgericht in jenem Rechtsstreit bereits bindende Feststellungen getroffen. Zu dem im wesentlichen streitigen Geschehen im Treppenhaus konnte die Zeugin aus eigener Kenntnis nichts beitragen. Die Zeugin K die Tochter des Klägers, ist selbst nicht Tatzeugin gewesen, sondern nur Zeugin vom Hörensagen hinsichtlich der Erklärungen, die der Kläger selbst hier nach Rückkehr in der Wohnung zum vorgefallenen Tatgeschehen gegeben hat. Insoweit mag als wahr unterstellt werden, daß der Kläger damals tatsächlich geäußert hat, der Versicherungsnehmer habe ihn die Treppe hinuntergestoßen. Daraus zieht der Senat aber nicht den Schluß, daß das tatsächlich so gewesen ist. Denn es findet sich im Aussageverhalten des Klägers selbst keine Konstanz. Er hat bei verschiedenen Gelegenheiten - gegenüber seiner Tochter, gegenüber der Polizei und gegenüber dem Gericht - jeweils Sachverhaltsdarstellungen abgegeben, die miteinander nur in Teilbereichen übereinstimmten. Das gilt insbesondere auch hinsichtlich der zentralen Tatsache, nämlich wie er sich den Knöchelbruch zugezogen hat. Gegenüber der Polizei etwa, als er Strafanzeige erstattete, behauptete er noch, der Versicherungsnehmer habe ihm noch in der Wohnung gegen das Schienbein getreten. Dadurch habe er sich einen zweifachen Bruch des rechten Beines zugezogen. Danach habe ihn der Versicherungsnehmer am Kragen gepackt und aus der Wohnungstür hinausgeschoben. Später habe er ihn die Treppe hinuntergeprügelt. Zu Fall gekommen sei er erst, als der Kläger ihn vor die Tür geschubst habe. Außerdem war der Kläger zum Zeitpunkt der Mißhandlungen - er und der Versicherungsnehmer hatten gemeinsam 1 1/2 Flaschen Wodka getrunken - zur Tatzeit erheblich alkoholisiert. Seinen früheren Angaben zu den Einzelheiten des Tatgeschehens mißt der Senat deshalb nur wenig Beweiswert zu. Es ist nicht einmal eine Überzeugung dahin möglich, daß zumindest eine der beiden wesentlichen Darstellungen des Klägers zu den Einzelheiten des Tatgeschehens richtig ist. Eine weitere Aufklärung ist heute nicht mehr möglich, nachdem der Kläger mehrere ischämische Insulte erlitten hat und zu konkreten Angaben gesundheitlich nicht mehr fähig ist.

Auch aus den Verletzungen selbst ist ein Schluß auf den Hergang des Geschehens nicht möglich. Insoweit mag der doppelte Bruch des Fußgelenks Folge eines Treppensturzes sein. Wie es indessen dazu gekommen ist, ergibt sich daraus noch nicht. Es ist nicht einmal wahrscheinlicher, daß der Versicherungsnehmer den Kläger die Treppe heruntergestoßen hat, als daß dieser - in alkoholisiertem Zustand und deshalb in seiner Motorik nicht mehr so sicher - im Verlaufe des Gerangels das Gleichgewicht verloren hat und die Treppe hinuntergestürzt ist. Ähnliches gilt für das Nachtatverhalten des Versicherungsnehmers. Auch dieser war erheblich alkoholisiert. Es ist nicht einmal sicher, ob er den Ernst der Verletzung des Klägers überhaupt erkannt hat. Es steht nach alledem nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Versicherungsnehmer vorsätzlich im Sinne von §§ 152 VVG, 4 II Nr. 1 AHB sämtliche Verletzungen des Klägers vorsätzlich herbeigeführt hat.

Nach den Gründen des Urteils des 6. Zivilsenats vom 01.10.1998 steht aber bindend fest, daß der Versicherungsnehmer dem Kläger nicht nur einen Faustschlag in seiner Wohnung versetzt hat, sondern daß er ihn auch im Treppenhaus weiter mißhandelt hat und daß er ihn schließlich aus dem Haus gestoßen und auf den am Boden liegenden Kläger eingetreten hat. Es sind dies Mißhandlungen, die typischerweise schmerzhafte Hautabschürfungen, Prellungen und Blutergüsse zur Folge haben, die der Kläger unstreitig nach dem Vorfall an Kopf und Körper zahlreich aufgewiesen hat. Derartige typische Verletzungen sind selbstverständlich vom Tätervorsatz miterfaßt (Senat VersR 81, 789, 82, 641; 85, 726 und 86, 1177). Insoweit besteht kein Versicherungsschutz (§ 4 II 1 AHB).

Bei einem für den gesamten Tathergang rechtskräftig festgesetzten Schmerzensgeld von 35.000,00 DM ist der Teil auszuscheiden, der auf die vorsätzlich zugefügten Verletzungen entfällt. Das ist, soweit es nicht in dem bindenden Haftpflichturteil geschehen ist - was hier entfällt -, vom Senat gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Dabei ist eindeutig, daß hinsichtlich der schwerwiegenderen Verletzung (Sprunggelenksbruch) kein Vorsatz festzustellen ist. In Anbetracht aller Umstände hält es der Senat für gerechtfertigt, einen Betrag von 5.000,00 DM auszuklammern, da er auf vorsätzlich herbeigeführte Verletzungen entfällt. Es verbleibt damit ein Anspruch von 30.000,00 DM.

Eine solche Aufteilung ist bei einem Tathergang, der mehrere schuldhafte Einzelhandlungen umfaßt, von denen einige Vorsatztaten sind und andere nicht, unbedenklich. Ob sie auch dann möglich ist, wenn es sich um eine Einzelhandlung und keinen mehraktigen Ablauf handelt (bejahend Langheid NVersZ 99, 253), braucht hier nicht entschieden zu werden (dazu auch Lorenz VersR 2000, 6; Knappmann VersR 2000, 12).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Das Urteil beschwert keine Partei zu mehr als 60.000,00 DM.

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